Zum 130. Geburtstag Ho Chi Minhs

von Hellmut Kapfenberger

Vielleicht wegen der Coronavirus-Pandemie nicht ganz so wie gewohnt, aber nicht minder würdig wird Vietnam am 19. Mai in vielerlei Art und landesweit wieder seines Präsidenten Ho Chi Minh gedenken. Anlass ist dessen 130. Geburtstag. Die feierliche Ehrung von Onkel Ho ist in diesem Jahr eng verbunden mit der Würdigung des 45. Jahrestages der Befreiung Saigons und des Endes eines jahrzehntelangen Krieges am 30. April 1975.

Davon zeugen schon seit Ende April allein ein beiden Jubiläen gewidmetes Meer von Fahnen, Straßen überspannende Spruch-bänder und Plakatwände in den Magistralen nicht nur der Metropolen Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt. All das knüpft an eindrucksvolles Gedenken anlässlich des 50. Todestages Ho Chi Minhs am 2. September letzten Jahres an. In diesem geschichts-trächtigen Jahr 2020 kann Vietnam am 2. September auch den 75. Jahrestag der Ausrufung der Unabhängigkeit durch Ho Chi Minh und der Gründung der Demokratischen Republik begehen, ein Jubiläum hoffentlich ohne Pandemie-Beschränkungen.

Foto: http://vhttcs.org.vn/

Was könnte überzeugender davon künden, dass der Mann, der von Jugend an sein Leben   dem Kampf gegen die Geißel des Kolonialismus und dann gegen imperia-listische Versklavung, für Freiheit und Wohl seines Volkes gewidmet hat, in seinem Heimatland unvergessen ist, als die Ehrungen dieser Zeit. Sie galten und gelten einem Manne, dem aber auch hohe internationale Weihen zuteil geworden sind. Erinnert sei an eine internationale Wortmeldung, die weithin

in Vergessenheit geraten sein dürfte und hierzulande nie ernsthaft zur Kenntnis genommen wurde. Die Generalkonferenz der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) hatte Ende 1987 “in Anbetracht dessen, daß die internationale Feier der Geburtstage bedeutender Persönlichkeiten des Geistes und der Kultur zur Verwirklichung der Ziele der UNESCO und zur internationalen Verständigung beiträgt”, auf den bevorstehenden 100. Geburtstag Ho Chi Minhs (19. Mai 1990) verwiesen, “des Helden der nationalen Befreiung und bedeutenden Mannes der Kultur Vietnams”.

Die Generalkonferenz ging davon aus, dass Präsident Ho Chi Minh “sein ganzes Leben der Befreiung des vietnamesischen Volkes gewidmet und damit zum gemeinsamen Kampf der Völker für Frieden, nationale Unabhängigkeit, Demokratie und gesell-schaftlichen Fortschritt beigetragen hat”. Sie empfahl den Mitgliedstaaten der UNESCO, so auch beiden deutschen Staaten, “sich der Feier des 100. Geburtstages von Präsident Ho Chi Minh anzuschließen, indem sie sein Andenken mit verschiedenen Veranstal-tungen ehren, die dazu dienen, die Größe seiner Ideale und seines Handelns für die nationale Befeiung bekanntzumachen”.

An den Generaldirektor der Organisation erging die Bitte, “die geeigneten Schritte zu unternehmen,  um den 100. Geburtstag Präsident Ho Chi Minhs feierlich zu begehen, und aus diesem Anlaß organisierten Aktivitäten des Gedenkens, besonders jenen, die in Vietnam stattfinden werden, seine Unterstützung zukommen zu lassen”. 

Freunde Vietnams mussten damals zur Kenntnis nehmen, dass der Aufruf aus Paris in deutschen Landen kein Gehör fand. Weder in der BRD noch in der DDR, beide seit Jahrzehnten auf sehr unterschiedliche Weise in Sachen Vietnam engagiert,  fühlten sich regierende oder gesellschaftliche Prominenz bemüßigt, der Empfehlung eines der gewichtigsten UNO-Organe zu folgen, als die Zeit dafür herangereift war. Gründe für das, was durchaus als Affront betrachtet werden kann, gab es mehrere. Das Noch-DDR-Kabinett von Lothar de Maiziere und die Regierung Helmut Kohls, anderweitig voll beschäftigt, verschwendeten offenkundig keinen Gedanken daran. So darf es nicht der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. in Bonn angelastet werden, wenn sie auf damalige Anfrage des Autors mitteilen musste, dass ihr “keine Übersicht über deutsche Aktivitäten anlässlich dieses Gedenktages vorliegt”. Es gab sie nicht. Was es zur Zeit des 100. Geburtstages noch gab, war in Berlin ein bescheidenes Stück Erbe der DDR, die Ho-Chi-Minh-Straße. Die Mehrheit in der damaligen Stadtbezirks-versammlung des Bezirks Lichtenberg durfte sie zwei Jahre später eliminieren. Unerwähnt verstreichen ließ man in neu organisierten deutschen Landen, wie nicht anders zu erwarten, auch den 110. und den 120. Geburtstag genauso wie vor Monaten eben den 50. Todestag des äußerst verdienstvollen Präsidenten eines Staates, mit dem die Bundesrepublik nun seit 45 Jahren diplo-matische Beziehungen unterhält und “strategische Partnerschaft” pflegt, eines Staates, dessen Art es nicht ist, hoch-notpeinliche Fragen nach Vergangenem zu stellen, wenngleich das als “Aufarbeitung” durchaus angebracht wäre.